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Ist die agile Organisation ein guter Weg zum attraktiveren Arbeitgeber? Nicht als Lippenbekenntnis.

Agile Methoden und die agile Organisation – für den einen oder anderen mögen beide Begrifflichkeiten inzwischen zu Buzzwords geworden sein, die gebetsmühlenartig durch den Modernisierungskatalog der Unternehmenswelt geistern.

Im neuen HR-Report von Hays (kostenpflichtig) zeigt sich, dass 51 Prozent  der Unternehmen in der DACH-Region eine agile Organisation für wichtig halten.

Spannend ist dabei auch, dass „die agile Organisation“ zu einer Art Sinnbild eines modernen und attraktiven Arbeitgebers geworden ist. Das birgt im Zweifel aber durchaus gewisse Gefahren.

Eine agile Organisation darf nicht nur Marketing sein

Wenn man sich damit beschäftigt, was eine agile Organisation ist, dann dürften es vor allem Projektmanagement-Werkzeuge sein, die vielen in die Köpfe kommen. Von Scrum bis Design-Thinking: Eine agile Organisation zeichnet sich durch die Nutzung agiler Projektmanagement-Methoden aus. Das ist durchaus richtig, aber leider auch sehr unvollständig.

Der Antrieb für Unternehmen agiler zu werden, hat aus unserer Sicht etwas damit zu tun, dass Agilität als modern gilt. Und als eine Eigenschaft von Unternehmen, die sie als Arbeitgeber für junge, dynamische und hungrige Mitarbeiter attraktiver macht. Dagegen steht häufig, dass in vielen mittelständischen Betrieben eben dieser Gedanke eine Art Rekrutierungs- oder Beschleunigungsvehikel ist, aber in den Tiefen der Herzen älterer Manager trotzdem als Spielerei gesehen wird. Nicht selten beruht dieser Umstand schlicht auf deren eigenen guten Erfahrungen mit bisherigen Projektmanagement-Methoden wie dem Wasserfall und dem zugehörigen Gantt-Diagramm. Es gilt: Die neue agile Methode ist der alten überhaupt nicht überlegen, aber wir müssen das jetzt so machen, weil es modern ist und die jungen Leute damit so arbeiten wollen.

Mehr als eine Methode

Eine Organisation wird aber nicht agil, indem sie anfängt nur noch mit Scrum, Lean-Philosophien, Fast Prototyping oder Design Thinking zu arbeiten. Sie wird nicht dadurch agiler, dass es plötzlich erlaubt ist, viele Haftnotizzettel an Wände zu kleben und den Besprechungstisch durch Lounge-Möbel zu ersetzen und statt eines Besprechungsraumes sich nunmehr in einem „Creative Hub“ zu treffen.

Nicht missverstehen! Eine geeignete, ansprechende und passende Arbeitsumgebung gehört natürlich dazu. Aber sie ist nicht wie ein Schalter zu begreifen, den man drückt, und alles wird gut.

Das Arbeiten in einer tatsächlich agilen Organisation ist für junge Menschen attraktiv. Weil diese Form der Arbeitsorganisation viel mehr der Wirklichkeit entspricht, die sie im Rahmen ihrer Sozialisierung für sich entdeckt haben und als gut empfinden. Weil sie Augenhöhe, Selbstverantwortung und Freiheitsgrade der Selbstorganisation lebt. Darüber hinaus hat der Einsatz von agilen Methoden tatsächlich einige Vorteile, die herkömmliche Projektmanagementmethoden eben nicht mitbringen.

Sie sind flexibler und eignen sich somit besser für komplexe Projekte, die häufigen Veränderungen unterworfen sind, weil sich die Umweltbedingungen eben nicht über den gesamten Projektverlauf einfrieren lassen. Sie integrieren den Kunden deutlich besser in die Projekterarbeitung und leisten damit einen hohen Beitrag zum Stichwort „Kundenorientierung“, welches sich ebenfalls viele Unternehmen mehr oder weniger neuerdings auf ihre Fahnen schreiben. Und sie sind schneller, weil ihr Wesen darauf basiert, zu zügigen Entscheidungen zu kommen und interdisziplinär zu arbeiten.

Agilität ist zunächst eine Frage der Kultur

Eine Organisation, die agil werden möchte, klärt aber nicht zuerst, welche Methoden zukünftig eingesetzt werden. Eine agile Organisation erkennt zunächst den Vorteil der Agilität an sich und sieht sie nicht als Personalmarketinginstrument oder sonstiges Allheilmittel. Sie erkennt zudem, dass agil zu sein auch bedeutet, als Gesamtorganisation Agilität zu leben und diesen Begriff nicht nur auf das Projektmanagement zu reduzieren. Agilität ist nämlich zunächst einmal ein kulturelles Projekt und beginnt damit – wie die Digitalisierung auch – im Kopf. Agilität darf also nicht nur ein Fassadenanstrich sein. Ihre Grundlagen müssen zur DNA der gesamten Organisation werden, damit sich eine entsprechende Wertschöpfung überhaupt erst entfalten kann.

Dazu sei beispielhaft auf ein zentrales Thema beziehungsweise einen zentralen Wert agiler Organisationen hingewiesen, der grundsätzlich eben auch eine wesentliche Rolle bei der Attraktivität als Arbeitgeber und damit bei der Ausgestaltung von Arbeitgebermarken spielt: Vertrauen.

Vertrauen als Fundament

Eine grundlegende Eigenschaften agiler Organisation und auch des Einsatzes agiler Projektmanagement-Methoden sind sich selbst organisierende Teams. Letztlich führt ein solches Setting auch zu den flacheren Hierarchien, die agile Organisationen aufweisen. Wir stellen häufig fest, dass die Unternehmenskultur vieler mittelständischer Unternehmen ein gewisses Problem mit dem Vertrauen gegenüber ihren Mitarbeitern aufweist. Ausdruck findet das in starken Kontrollmechanismen, dem Bestehen auf eine klare hierarchische Struktur und der teils konsequenten Ablehnung von bereits etablierten Arbeitsformen. Hier sei das Stichwort Homeoffice genannt. Homeoffice ist nicht in allen Bereichen eines Unternehmens machbar. Etwa in der Produktion. Wird diese Arbeitsform abgelehnt, dann geschieht das häufig mit dem Argument des Gleichheitsgrundsatzes. Bohrt man aber ein wenig nach, fällt auf, dass viele Manager immer noch der Auffassung sind, dass Menschen, die nicht im Büro arbeiten, sondern von zuhause ihrer Arbeit nachgehen, nicht effektiv arbeiten oder diese quasi unbeobachtete Arbeitsform missbrauchen.

Den Mitarbeitern wird einfach nicht dahingehend vertraut, dass sie ihren Job machen und sich entsprechend selbst organisieren, um ihre Aufgaben zu erledigen. Interessant ist diese Haltung im Übrigen auch, weil Mitarbeiter auch am Arbeitsplatz nicht jederzeit überwacht werden beziehungsweise sich auch dort allen möglichen Ablenkungen hingeben können, wenn sie gerade das Bedürfnis haben, nicht zu arbeiten.

Haltungsfrage

Fehlendes Vertrauen in die Mündigkeit, das Bewusstsein und die Selbstverantwortung der Mitarbeiter ist aus unserer Sicht einer der größten Hemmschuhe für mehr Agilität, aber genauso auch für eine höhere Arbeitgeberattraktivität. Solange die Führungsmannschaft inklusive der Geschäftsführung eine solche Haltung gegenüber der eigenen Belegschaft hat, ist eine höhere Wertschöpfung über agile Methoden kaum zu erreichen. Und eine solche Haltung steht letztlich auch nicht für einen modernen, attraktiven Arbeitgeber. Wichtig wäre an der Stelle zu reflektieren, woher diese Haltung kommt und was geschehen muss, damit sie sich verändern kann.

Schon seit vielen Jahren sprechen Unternehmen darüber, dass Mitarbeiter sozusagen mehr wie Unternehmer agieren sollten. Gleichsam wird aber kaum etwas dafür getan, dass sie es können. Die Verantwortung wird ihnen entweder abgenommen oder abgesprochen, ihre Freiräume bei der Ausführung ihrer Arbeit sind beschränkt und konkrete Entscheidungen sollen nach wie vor allem die Führungskräfte fällen. Man darf sich nicht wundern, wenn Mitarbeiter schließlich Verantwortung gänzlich ablehnen. Unter anderem möglicherweise auch deshalb, weil die Fehlerkultur nicht passt, da sie als vor allem negatives Sanktionssystem wahrgenommen wird.

Was ist also grundsätzlich zu tun, um die Verbindung aus Agilität und Arbeitgeberattraktivität bestmöglich zu nutzen? Wir halten zum Einstieg das Folgende für sinnvoll:

  1. Erkennen, welcher Grad an Agilität gewünscht und sinnvoll ist
  2. Erkennen, wo die Organisation aktuell in Sachen Agilität steht
  3. Erkennen, welche Bedürfnisse die Mitarbeiter diesbezüglich haben
  4. Erkennen, welche Haltung die Führungskräfte dazu haben
  5. Erkennen, welche kulturellen Veränderungen nötig sind, um eine agile Organisation ausbilden zu können

Wer sich unsere Handlungsempfehlungen in Sachen Employer Branding einmal intensiv durchgesehen hat, weiß, dass wir bei der Entwicklung von Arbeitgebermarken das Marketing ganz ans Ende setzen und zunächst ein Projekt gestalten, welches an die agile Methodik des Design Thinkings angelehnt ist und sich mit inhaltlichen Dingen befasst. Viele Fragen, die sich im Verlauf dieses Projektes stellen, haben mit den oben genannten Erkenntnisnotwendigkeiten große Schnittmengen. Es ist also gut möglich, sich das Thema Arbeitgeberattraktivität auch über die Überlegung zur Ausgestaltung einer agilen oder agileren Organisation zu erschließen.

Wichtig ist zu erkennen, dass sowohl Agilität als auch Attraktivität einer Organisation immer einen ganzheitlichen Umfang im Unternehmen brauchen. Kulturelle und prozessuale Konflikte und Misserfolge sind andernfalls vorprogrammiert und im Zweifel sehr teuer.

Ihr Martin Wilbers